Montag, 14. November 2005

Fußball statt Boulevard geht also auch

Die Sportberichterstattung, insbesondere im Fernsehen, ist in diesem Blog öfters - und mit Recht - bemängelt worden. Zuviel Boulevard, zu wenig Fußball.

Wie es besser geht, bewiesen am Samstagabend ausgerechnet das ZDF und seine Sport-Boulevard-Allzweckwaffe Johannes B. Kerner.

Die Vorberichte waren sachlich, selbst Jens Lehmanns wenig glückliche, kaum verhüllte Rücktrittsdrohung wurde nicht für dramatisierende Ausflüge ins Persönliche genutzt. Stattdessen wurde die Situation für die Fans im derzeit unruhigen Frankreich thematisiert und vor allem über das Spiel, die Aufstellung und die erwartete Spielweise gesprochen.

Selbst nach dem Schlusspfiff blieb das ZDF dieser Linie treu. Franz Beckenbauer durfte einmal mehr unter Beweis stellen, dass er außerhalb seiner Bild-Kolumne zu fundierten Spielanalysen in der Lage ist. Ganz im Gegensatz zu seinem ARD-Pendant Netzer, der kaum eine Gelegenheit auslässt, sich im Gespräch hochzuschaukeln, bemühte sich Beckenbauer um eine sachliche und nüchterne Einschätzung des Spiels und der Situation der Nationalmannschaft.

Nicht einmal am Kommentar des Spiels ließ sich viel bemängeln. Außer dem Fauxpas, Jens Lehmann als "zweiten Libero hinter der Abwehr" (einer Viererkette ohne Libero) zu bezeichnen, ist bei mir nichts negatives hängen geblieben.

Ich hoffe, die Konkurrenz hat aufmerksam zugeschaut.

Auch Supermodels bekommen Falten

Nein, Supermodelsoccer war das nicht, was die französische Nationalmannschaft am Samstag geboten hat. Oder vielleicht doch?

So wie die Ära der Supermodels Geschichte ist, neigt sich auch die Ära der großen französischen Nationalmannschaft ihrem Ende zu. Es ist kein Zufall, dass erst mit der Rückkehr der alten Helden Thuram, Makalele und vor allem natürlich Zinedine Zidane etwas Glanz in Frankreichs trotz fehlender Niederlagen mühsame Qualifikation zurückkehrte.

Samstagabend fehlte Zidane und mit ihm jede Kreativität im Mittelfeld. Die Stürmer, Einzelkönner von höchster Qualität, hingen in der Luft, ihre wenigen Chancen ließen sie ungenutzt.

Noch aussagekräftiger war das Verhalten in der Abwehr. Zwar standen die Blauen eng und ließen der deutschen Mannschaft wenig Raum. Aus deren Pressing konnte sich das Team aber kaum befreien. Denn niemand wusste etwas mit dem Ball anzufangen.

Frankreich ohne Zidane ist ein durchschnittliches Team mit zwei bis drei Klassespielern. Mehr nicht. Unklar, ob Trainer Domenech das Risiko scheut, junge Spieler in die Truppe zu integrieren, oder ob es Frankreich tatsächlich an Talenten mangelt.

Aktuell läuft die Grande Nation Gefahr zum zweiten Mal nach dem EM-Titel 84 in der Versenkung zu verschwinden. Möglicherweise ist Frankreich nicht Fußballnation genug, um regelmäßig Mannschaften zu großen Turnieren zu schicken, die um den Titel mitspielen können, wie es Brasilien und Italien können und es auch Deutschland (trotz aller berechtigten Kritik) über Jahrzehnte hinweg geschafft hat.

Ebendieses Deutschland hat in Frankreich gezeigt, dass sie eine gute Mannschaft ist, wenn sie ihr Potenzial abruft. Eine Klasse-Mannschaft ist sie nicht. Eine Klasse-Mannschaft hätte Frankreich an diesem Abend besiegt.

Bleibt zu fragen, ob es dem Trainerstab um Jürgen Klinsmann, dessen Handschrift bei diesem Spiel wieder deutlicher zu erkennen war als zuvor, gelingt, diesem Team in den wenigen Monaten bis zur WM diese fehlende Klasse zu vermitteln.

Viel spricht dafür, dass diese junge Mannschaft, die fast zur Hälfte aus U21-Spielern besteht, fußballerisch erst 2008/2010 in der Lage sein wird, um Titel zu spielen. Entsprechend viel wird davon abhängen, ob es dem Team gelingt, bei der WM im eigenen Land eine Euphorie zu erzeugen, die sie weiter trägt, als es ihren Fähigkeiten entspricht.

Aber unabhängig vom Ausgang der Weltmeisterschaft im kommenden Sommer. Am Samstag haben sich die Wege zweier Fußballnationen gekreuzt, die eine auf dem Weg nach unten, die andere auf dem Weg zurück nach oben.

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