Taktiktaefelchen

Mittwoch, 8. März 2006

Lesetipp (nicht nur für deutsche Fußball-Profis)

Noch ein kleiner Link auf den Indirekten Freistoß, speziell die Auszüge aus Dirk Schümers Artikel über das italienische "il modulo" (aus der FAZ, leider nicht online), die eiserne taktische Disziplin italienischer Mannschaften.

Wie schon gesagt: Während die einen noch taktische Disziplin üben, zelebrieren die Italiener taktische Raffinesse.

Donnerstag, 1. Dezember 2005

Vom Torhüter zum Torspieler

In der öffentlichen Wahrnehmung Fußball-Deutschlands ist der Torwart nicht wirklich Teil der Mannschaft. Torhüter sind die Bekloppten auf der Linie, die Kopf und Kragen riskieren, wenn sie sich dem gegnerischen Stürmer entgegenwerfen. Tolle Reflexe zeichnen einen guten Torwart aus. Das größte denkbare Kompliment: "Er hat einen unhaltbaren Ball gehalten." Fliegt der Torwart spektakulär durch die Luft, um einen Ball aus dem Winkel zu fischen, jubelt das Stadion.

Doch die Aufgaben des Torwarts haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Zumindest im internationalen Fußball. Aus dem Torhüter, der auf der Linie klebt und die Angriffe des Gegners abwartet, ist ein Torspieler geworden. Jens Lehmann hat das in einem Interview mit der SZ einmal so festgestellt: "Ausländische Klubs schauen nur danach, ob ein Torwart bei Flanken gut ist und das Spiel lesen kann. Dass Torhüter auf der Linie gut sind, wird als selbstverständlich vorausgesetzt."

Als letzter Mann dirigiert der Torhüter die mehr als zehn oder zwanzig Meter vor ihm postierte Viererkette. Wer Fußball regelmäßig im Stadion verfolgt, kennt die typischen Handbewegungen, die vor allem dann nötig sind, wenn die Kette schlecht steht.

Außerdem fängt der Torspieler weite Bälle in den freien Raum hinter der Viererkette ab. Oft genug weit vor dem Strafraum. Er muss also auch spielerische Qualitäten besitzen. Der Torhüter, der den Ball nicht mit dem Fuß stoppen kann, ist ein Auslaufmodell.

Doch mit dem Abfangen des Balles ist es nicht getan. Denn jetzt beginnt das Aufbauspiel der eigenen Mannschaft. Den ersten Pass spielt der Torwart. Meist bietet sich ihm dazu einer der Außenverteidiger durch Zurücklaufen an. Selten drischt der Torspieler den Ball planlos nach vorn.

Kommt der Gegner bei einem Angriff in Tornähe, gehört Strafraumbeherrschung zum unverzichtbaren Repertoire des modernen Torhüters. Denn idealerweise holt er bereits die Flanke in den Strafraum aus der Luft.

Nicht mehr darin, Torschüsse abzuwehren, liegt die eigentlich Aufgabe des Torhüters, sondern sie im Zusammenspiel mit seinen Vorderleuten zu verhindern. Noch einmal Jens Lehmann: „Für die Öffentlichkeit zählt, dass der Torwart sich durch Paraden auszeichnet. Für mich zählt, dass ich keinen drauf kriege."

Freitag, 18. November 2005

So sieht Fußball aus

Ein Freund von mir hat mir gestern dieses Foto zukommen lassen. Auch wenn es in der gezeigten Situation um eine Standardsituation geht: Das Bild zeigt beispielhaft, wie heute Fußball aussieht. So wie der Zuschauer es im Fernsehen selten, im Stadion meistens sieht.
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Beide Viererketten sind weit aufgerückt, begrenzen die bespielbare Fläche auf vielleicht 20 bis 30 Meter um die Mittellinie herum und halten den Ball weit vom eigenen Tor weg. Die Außen der Viererkette stehen leicht vorgerückt und können sich so verstärkt in das Kombinationsspiel einschalten oder im Idealfall mit einem Sprint in die Lücken der gegnerischen Viererkette vorstoßen. In der Dreierkette stehen die Abwehrspieler meist auf einer Linie. Damit sind drei statt zwei Spieler aus dem Mittelfeld herausgenommen.

Nur durch schnelles Kombinationsspiel, viel Laufarbeit auf engem Raum und das richtige Timing im Abspiel gelingt es, aus diesem Kordon auszubrechen. Läuft es perfekt, erhält ein Stürmer den Ball, der gerade in eine Lücke zwischen den Abwehrspielern stößt und den Ball am Fuß freie Bahn auf das gegnerische Tor hat. In seinem Rücken können sich seine Mitspieler im Raum verteilen, die gegnerische Abwehr versucht, den ballführenden Stürmer zu stoppen und ihm zugleich mögliche Passwege zuzustellen.

Schnelligkeit ist für beide Seiten nun ebenso wichtig wie Ballsicherheit. Verliert der Stürmer den Ball, eröffnet das dem Gegner viel Raum, da das Spiel auseinandergezogen und die Defensivordnung durch die Vorwärtsbewegung aufgelöst ist.

Meist werden derartige Situationen aber bereits im Keim erstickt. Der Spieler, der im Mittelfeld in Ballbesitz gerät, wird sofort attackiert, soll den Ball erst gar nicht unter Kontrolle bringen.

Es entsteht das heute im Profifußball so häufige zweikampfbetonte Spiel im Mittelfeld mit wenigen spektakulären Torraumszenen.

Das Publikum im Stadion, so scheint es, hat sich mit dieser auf den ersten Blick wenig aufregenden Spielweise abgefunden. Gewonnene Zweikämpfe im Mittelfeld, das Ausspielen des Gegners, mehr noch die Balleroberung findet auf den Rängen lautstark Zustimmung. Torraumszenen sind die mit großem Getöse begleiteten Ausnahmen im Spielverlauf.

Donnerstag, 3. November 2005

Helden mit System

Freiburgs Trainer Volker Finke hat schon vor zehn Jahren den archaichen Heldenfußball verspottet und ihm seinen Konzept- bzw. Systemfußball gegenüber gestellt.

Nicht mehr die individuelle Klasse von einzelnen Stars sollte entscheiden. Stattdessen schickte Finke eine wohl organisierte, diszipliniert spielende Mannschaften, in denen jeder einzelne Aufgaben für das Team erledigte, aufs Feld.

In den folgenden Jahren sorgten immer wieder nominell schwächer besetzte Mannschaften mit Systemfußball für Aufsehen und kurzfristigen Erfolg in der Bundesliga: Finkes sogenannte Breisgau-Brasilianer, aber auch Hansa Rostock oder in der vergangenen Saison der FSV Mainz 05 und Arminia Bielefeld. Bezeichnend jedoch, dass die viele dieser Mannschaften nach dem Verlust einiger Leistungsträger ihre Erfolge nicht wiederholen konnten.

Uwe Rapolder, ehemaliger Trainer der Bielefelder Arminia und jetzige Trainer des 1.FC Köln, ist aktuell der bekannteste Vertreter dieser System-Schule. Mit Lukas Podolski, zwischenzeitlich zum Hoffnungsträger einer ganzen Fußballnation erklärt , hat Rapolder in seinen Reihen einen Spieler, der wie kaum ein anderer den jugendlichen, unbekümmerten und individualistischen Helden verkörpert.

Beides, davon ist die deutsche Fußballwelt fast einhellig überzeugt, geht nicht zusammen. System und Held sind nicht kompatibel.

Dass die individuelle Klasse bei taktisch disziplinierten Mannschaften mit klarem System letztlich den Unterschied macht, wird gerne übersehen.

Der FC Chelsea glänzt nicht nur durch die Namen seiner Spieler, sondern durch deren ausgeprägte taktische Disziplin. Die Stärke Chelseas liegt in dieser Kombination aus individueller Klasse und Mourinhos ausgefeiltem Systemfußball.

Wie unterschiedlich sich individuellen Spielweisen auf das System einer Mannschaft auswirken, zeigt ein Vergleich zwischen dem FC Bayern München und Werder Bremen.

Beide spielen in ihrer taktischen Grundaufstellung ein 4-4-2 mit einer Raute im Mittelfeld. Die Umsetzung im Spielsystem unterscheidet sich jedoch deutlich.

Die offensive Position in der Raute besetzt in Bremen der Franzose Johan Micoud, ein Spielmacher alter Schule mit begnadetem und spektakulärem Passspiel, jedoch eine fast reine Offensivkraft.

In München spielt Michael Ballack Micouds Position und interpretiert seine Rolle völlig anders. Er ist nicht nur in der Offensive der zentrale Mann. Sein Aktionsradius auf dem Spielfeld ist enorm. Defensiv arbeitet Ballack genauso bereitwillig wie offensiv. Dafür ist sein Passspiel weit weniger spektakulär als das Micouds.

Beide individuellen Spielweisen haben Folgen für die Mannschaft. Werder ist (freilich nicht nur) wegen Micoud defensiv anfälliger, aber erzielt deutlich mehr Tore als der Meister.

Die Bayern stehen defensiv besser. Auch hier greifen andere Rädchen ins Mannschaftsgetriebe (die beiden Innenverteidiger Lucio und Ismael, der defensive Mittelfeldmann Demichelis). Aber der Münchener Defensivverbund hat auch die Unterstützung des offensiven Ballack und kann damit bereits im Mittelfeld sehr viel einfacher ein Überzahlspiel aufbauen.

Münchens Stärke liegt aber nicht nur in Ballacks Defensivqualitäten. Offensiv unterstützen ihn zwei sehr spielfreudige Außen (aktuell meist Ze Roberto und Deisler), die mit dazu beitragen, das Spiel der Bayern aktuell dem der Bremer überlegen zu machen.

Kaum ein Wunder, dass Bremen in der Champions League gegen Udine ein torreiches 4:3 abliefert. Ein Ergebnis, dass Bayern München selten im Programm hat. Ein 4:2 gilt den Bayern als große Gala, das 2:1 oder 1:0 ist aber fast ihr Standardergebnis.

Diesen Samstag treffen beide Mannschaften im Spitzenspiel der Bundesliga aufeinander. Es dürfte spannend zu beobachten sein, wessen Interpretation des Systems am Ende erfolgreicher ist.

Donnerstag, 27. Oktober 2005

Das System Rapolder und die Kölner Misere

Großes Thema in der deutschen Sportpresse war nach Kölns 3:6-Debakel bei Eintracht Frankfurt Rapolders Konzeptfußball.
SpiegelOnline-Kommentator Peter Ahrens sah in Kölns Niederlagenserie gar das generelle Scheitern des Konzeptfußballs in Deutschland, ganz in der mäkelnden Tradition der Mutterzeitschrift, dem Zentralorgan des deutschen Bedenkenträgertums.
Dabei weist Ahrends treffend daraufhin, dass kaum jemand so genau weiß, worum es bei Rapolders Konzeptfußball überhaupt geht. Auch er selber drückt sich vor einer Erläuterung.

Als taktische Grundaufstellung favorisiert Rapolder ein 4-2-3-1-System, beileibe keine Erfindung Uwe Rapolders. Würde sich in Deutschland jemand ernsthaft für Fußballtaktik und internationalen Fußball interessieren, wüsste er, dass Zidane dieses System liebt und die Franzosen es entsprechend gerne spielen. Aber nicht nur sie.

Vorteile bietet 4-2-3-1 aber vor allem individuell schwächer besetzten Mannschaften. In der Defensive bietet es eine große Kompaktheit. Mit Ausnahme des Stürmers beteiligen sich alle Spieler an der Verteidigung, aus den offensiven Mittelfeldspielern wird bei Ballverlust eine erste Dreierkette gebildet, die den Gegner attackiert. Gelingt hier oder spätestens den beiden Spielern im defensiven Mittelfeld die Rückeroberung des Balles, wird der Gegner in dessen Vorwärtsbewegung überrascht. Mit einem schnellen öffnenden Pass taucht die nun angreifende Mannschaft vor dem Tor des Gegners auf, bevor der seinen Defensivverbund organisiert hat. Fußball als Überfallkommando.
Eintracht Frankfurt hat auf diese Weise gegen uns und gegen Schalke 12 Tore geschossen. Fast immer ging diesen Toren ein Ballverlust des Gegners und ein direkter öffnender Pass (häufig durch den exzellenten Meier) voraus.

Das Frankfurt-Spiel hat darüber hinaus zwei Gründe für die Kölner Misere deutlich aufgezeigt: Unnötige Ballverluste im Mittelfeld und mangelnde Laufbereitschaft. Beide Probleme besitzt die Mannschaft nicht erst seit Rapolder sie trainiert. Sie abzustellen ist jedoch Voraussetzung für ein erfolgreiches Spiel nicht nur nach Rapolders Vorstellungen.

Auch in der taktischen Grundformation musste Rapolder aufgrund von Spielerausfällen fast immer von seiner Linie abweichen. In den ersten Spielen setzte er auf ein 3-3-3-1, wie es auch Huub Stevens in Köln hat spielen lassen, teilweise mit Björn Schlicke als Libero zwischen zwei Manndeckern. Weil sich Lukas Podolski allein in der vordersten Position überfordert sah, stellte Rapolder im Lauf der Zeit auf ein 3-3-2-2 um und stellte dem Kölner Jungstar Peter Madsen an die Seite.

Insofern kann von einem Scheitern des Konzeptfußballs in Köln (noch) keine Rede sein. Rapolders Problem liegt eher darin, dass er die alten Schwächen der Mannschaft bis jetzt nicht in den Griff bekommen hat.
In Bielefeld ist es ihm gelungen, aus einer nicht besser besetzten Truppe eine für ihre Verhältnisse erfolgreiche Mannschaft zu formen, in dem er ihr taktische Disziplin und Laufbereitschaft vermitteln konnte.

Zwei Fähigkeiten, die der 1.FC Köln in den vergangenen Jahren vermissen ließ. Das FC-Spiel lebte von einem verbissenen Zweikampfverhalten und gelegentlichen (Lottner) oder häufigeren (Podolski) gelungenen Einzelaktionen. Eine Spielweise, mit dem die Mannschaft in der 2. Liga dominierte, in der 1. Liga aber regelmäßig scheiterte. Denn da ist nicht nur die individuelle Klasse um einiges höher als beim FC, die Mannschaften sind obendrein besser darin, diese Klasse kaltzustellen.
Um die Fahrstuhlkarriere des 1.FC Köln zu beenden, wurde mit Uwe Rapolder ein Trainer verpflichtet, der Taktik und Laufbereitschaft in Bielefeld erfolgreich vermitteln konnte. Von dem man sich in der sportlichen Leitung des Vereins versprach, der Kölner Mannschaft dies ebenfalls zu vermitteln und sie aus der Abhängigkeit Einzelner zu befreien.
Ob der 1.FC Köln aus dem Fahrstuhl herausspringt und in der Belle Etage des deutschen Fußballs bleibt, wird vor allem davon abhängen, ob ihm dies gelingt.

Donnerstag, 20. Oktober 2005

Die Renaissance der 6

Viel Lob erhält diese Woche Martin Demichelis von Bayern München für sein Spiel in der Champions League-Begegung gegen Juventus Turin.

Dabei spielt Demichelis auf der Position im defensiven Mittelfeld (der 6 in einer Zeit als Trikotnummern noch Trikotnummern waren), die jahrelang im Schatten des "eigentlichen" Spielmachers stand.
Oft genug dienten die Spieler auf dieser Position allein dazu, für den Künstler mit der 10 die Drecksarbeit zu verrichten. Sie vertraten einen Netzer oder Cruyfff im Defensivspiel, erobeterten den Ball, um ihn umgehend dem auf einmal wieder am Spielgeschehen teilnehmenden Spielmacher abzugeben.

In den 90ern, dem Jahrzehnt des Rasenschachs, verschwand der 6er (wie der 10er) im Verschiebebahnhof des querspielenden Kombinationsfußballs. Ziel war es nun, den Ball möglichst lange in den eigenen Reihen zu halten und durch permanentes Verschieben und Passen die Lücke in der gegnerischen Defensive zu suchen, die zum Torerfolg führen konnte. Gesucht wurde der ballsichere und taktisch geschulte Allrounder, der sich in dieses System einfügte.
Höhepunkt und Ikone dieser Spielweise war das 94er-WM-Finale zwischen Brasilien und Italien. Beide Mannschaften neutralisierten sich auf taktisch hohem Niveau, spielten sich im Mittelfeld den Ball zu, während der Gegner seinen Defensivverbund parallel zum Lauf des Balles verschob. Jeder wusste, der erste Fehler würde das Spiel entscheiden. Zum Leidwesen der Zuschauer machte Italiens Star Roberto Baggio diesen Fehler erst im Elfmeterschießen.

Am Ende dieses Jahrzehnts stellten die Trainer jedoch fest, dass die meisten Tore in den ersten 20 Sekunden nach Balleroberung fielen. Nicht mehr abwartendes Rasenschach galt als Maxime erfolgreichen Fußballs. Das schnelle Umschalten von Abwwehr auf Angriff, das rasche Überbrücken des Mittelfelds wurden die Waffen der Zeit (und sind es bis heute).

Damit rückt die 6 in den Mittelpunkt des Geschehens. In seinem angestammten Wirkungsbereich zwischen Mittellinie und Strafraumgrenze soll dem Gegner der Ball abgejagt werden. Während die gegnerische Mannschaft noch in der Vorwärtsbewegung ist, wird versucht, über wenige Stationen zum erfolgreichen Abschluss zu kommen.

Die Position der 6 erfordert deswegen heute mehr als nur defensive Qualitäten. Der Mann im defensiven Mittelfeld muss in der Lage sein, das Spiel zu eröffnen und zu gestalten. Aus dem Abräumer wird ein Umschaltspieler und die zentrale Figur des Spielgeschehens.

Demichelis hat am Dienstagabend eine solche 6 gespielt und damit einen Hauch von modernem Fußball durch ein Stadion der oft und zurecht als taktisch rückständig kritisierten Bundesliga wehen lassen.

Mehr davon!

Donnerstag, 13. Oktober 2005

Stefans kleines Taktiktäfelchen

Auch wenn ich das eine oder andere schon an anderer Stelle geschrieben habe, doch noch ein paar Sätze zu den beiden Länderspielen.
Dabei will ich erst gar nicht mit den Nebenkriegsschauplätzen anfangen (Gegrummel in der Bundesliga, Fitness-Testchen, Kalifornien oder Bottrop), sondern mal die Frage stellen, ob das aktuelle Spielsystem das Richtige für diese Mannschaft ist.

Wie die Bundesligaspitzenvereine spielt die Nationalmannschaft ein 4-4-2 mit Raute im Mittelfeld. Die Vorteile liegen auf der Hand, denn die meisten Spieler sind mit diesem System vertraut, müssen sich in der Nationalmannschaft nicht umstellen.

Allerdings offenbart das System einige Schwächen, die vor allem mit der mangelhaften Defensivarbeit des Mittelfeldes zusammenhängen. In der Raute müssen die beiden Außenspieler im Mittelfeld bei gegnerischem Ballbesitz zurück hinter den Ball, um die Abwehr zu unterstützen. Dies umso mehr, als wir in der Nationalmannschaft im Gegensatz zu den Vereinen auf den vorderen Plätzen der Liga, junge, unerfahrene Abwehrspieler haben, die allein gelassen schlicht überfordert sind.

Ein Ismael, ein Bordon können mit so einer Situation umgehen, weil sie die Klasse, vor allem aber die Erfahrung haben. Ein Metzelder, ein Mertesacker, ein Huth, ein Sinkiewicz können das nicht.

Bessere Innenverteidiger haben wir aber nicht. Wörns hat gegen die Niederlande deutlich gezeigt, dass er keinen Deut besser spielt als die Jungen. Warum also einen Wörns ohne eine langfristige Perspektive spielen lassen, wenn ein Sinkiewicz, ein Mertesacker oder ein Huth mit jedem Länderspiel dazulernen und besser werden (als Wörns)?

Allerdings muss die Spielweise der Mannschaft dieser Unerfahrenheit Rechnung tragen. Deshalb wäre ein zweiter defensiver Mittelfeldspieler, der mit die Räume vor der Viererkette besetzt, eine Entlastung für den Kinderriegel.

Statt der Raute also ein 4-4-2 mit zwei Defensiven im Mittelfeld (aufgedröselt: 4-2-2-2 statt 4-1-2-1-2).

Mit Ballack haben wir einen Spieler, der diese Position herausragend spielen kann. Er hat sie gelernt und sagt selber, dass er sie dem Part hinter den Spitzen vorzieht: "Ich habe das Spiel gerne vor mir." Auch seine Spielweise, sein enormer Aktionsradius im Mittelfeld und seine Bereitschaft eben auch die Drecksarbeit zu machen, sprechen dafür ihn eher defensiver einzusetzen.

Vor diesem Doppel im defensiven Mittelfeld können auf den Außenbahnen, weniger auf den Halbpositionen Schweinsteiger und Deisler spielen. Beide sind defensiv bemüht, aber schwach, und würden durch Ballack und Frings oder Ernst hinter ihnen von Defensivaufgaben entlastet.

Die Lücke, die damit im zentralen offensiven Mittelfeld entsteht, ist auf den ersten Blick ein Nachteil, bei näherer Betrachtung aber ein großes Plus, weil in der Mannschaft gleich zwei Spieler stehen, die diese Lücke im 4-4-2 schließen können und wollen.

Zum einen Ballack aus der Defensive heraus, zum anderen Podolski, der sich ohnehin gerne zurtückfallen lässt.

Damit bietet diese Spielweise auch in der Offensive Vorteile: Defensiv entlastete Außen und ein schwerer auszurechnendes Spiel in der Zentrale mit dem Auf und Ab von Ballack und Podolski.

Montag, 10. Oktober 2005

Die Nationalmannschaft spielt so gut, wie die Bundesliga sie lässt

Zumindest in einem waren sich am Wochenende alle einig. Das Spiel der deutschen Mannschaft in Istanbul war schlecht. Aber schon die Frage 'Was war schlecht?' interessierte kaum jemanden.

Mich schon. Deshalb eine kurze Spielanalyse: Durch die Bank standen die deutschen Spieler zuweit weg von ihren Gegenspielern und vermieden so die Zweikämpfe. Kurz: mangelnde Aggressivität.
Wegen der gleichfalls nicht vorhandenen Laufbereitschaft ergaben sich keine Anspielstationen im Spiel nach vorne. Im Defensivverhalten fehlte diese Laufbereitschaft ebenso, zudem mangelte es an taktischer Disziplin. Mangelnde Aggressivität, fehlende Laufbereitschaft und taktische Disziplinlosigkeit eröffneten den Türken die benötigten Räume bei eigenem Ballbesitz. Ergebnis: Keine Chancen hier, viele Chancen da. 2:1 verloren.

Es lohnt sich dieses Spiel im Zusammenhang der anderen Leistungen in der Ära Klinsmann zu betrachten. Denn es ist zu einfach zu behaupten, dass im Confed-Cup alles gut war, jetzt aber alles schlecht ist.
Richtig ist, dass Aggressivität und Laufbereitschaft im Spiel nach vorne während des Confed-Cups und in den meisten Spielen zuvor vorhanden waren. Zusammen mit einer vom Trainer geförderten großen Risikobereitschaft entwickelte sich eine attraktive, schnelle und offensive Spielweise.
In den letzten Begegnungen war davon nichts zu sehen, weshalb die Schwächen der Mannschaft deutlicher zu Vorschein kamen.

Denn die Probleme im Defensivverhalten sind nicht neu. Allerdings haben sie nichts (oder nur wenig) mit der jungen Viererkette zu tun. Auch wenn die deutsche Abwehr mit Innenverteidigern wie Bordon oder Ismael sicher sattelfester säße. Nur haben wir diese Spieler nicht. Wir haben Mertesacker und Sinkiewicz (die passabel, aber nicht hervorragend spielen - hoffentlich noch nicht), dann haben wir vielleicht noch Metzelder und Fahrenhorst. Spieler wie Huth und Wörns (vor allem Wörns!) haben bei ihren Auftritten im Nationaltrikot sehr deutlich gemacht, dass sie keine gleichwertige Alternative zu den Erstgenannten sind.
Viel entscheidender ist aber das miserable Defensivverhalten des Mittelfeldes. Es hat sich wohl noch nicht bis zu den deutschen Mittelfeldspielern herumgesprochen, dass im modernen Fußball (modern ist relativ: seit etwa 1990) der Defensivblock bei gegnerischen Ballbesitz alle 10 Feldspieler umfasst. Genauso wie bei eigenem Ballbesitz alle Spieler auf verschiedene Weise in das Angriffsspiel eingebunden sind. Wie sonst ist es zu erklären, dass in allen Spielen zwischen Mittelfeld und Abwehr ein riesiges Loch klaffte, in dem der Gegner nach Belieben agieren konnte? Wie sonst ist es zu erklären, dass Räume nicht gedeckt werden, dass Spieler nicht einmal versuchen, bei einem gegnerischen Angriff hinter den Ball zu kommen und stattdessen verteilt über 60 Meter auf dem Platz herumhängen? Hinter einem so schlampig arbeitenden Mittelfeld (die Angreifer, die den Gegner im Idealfall schon bei der Annahme stören sollten, lasse ich mal außen vor) sieht jede Viererkette schlecht aus, egal wie alt sie ist.
So weit die Bestandsaufnahme. Zu fragen wäre nun, ob es am Wollen oder am Können der Spieler liegt. Wollen sie nicht, sollte man sich eingestehen, dass diese Spielergeneration eine verlorene Generation ist und sie schnellstmöglich durch Nachwuchsspieler ersetzen. Können sie nicht, müsste man fragen, ob es körperliche oder taktische Defizite sind. Oder beides.
Die "Experten" aus der Bundesliga bieten jedoch ganz andere Antworten. So würden die Fitness-Tests der Nationalmannschaft die Spieler überfordern. Mit dem gleichen Argument könnte man Mathe-Klassenarbeiten in der Schule abschaffen: Die stören den Unterrichtsrhythmus und klauen obendrein Lernzeit. Körperliche Fitness ist heute Grundvoraussetzung, um international mithalten zu können. Insofern ist es legitim (vielleicht sogar notwendig) sie zu überprüfen, um eventuelle Mängel feststellen und anschließend beheben zu können. Die bodenlose Dummheit des blauen Rudi, sich zu mokieren, dass Ausländer dieses Fitness-Training leiten, kommentiere ich nicht. Das ist mir schlicht zu blöd. Aber die Bundesliga-Experten wie Franz Beckenbauer und Thomas Schaaf bieten auch noch eine andere Antwort: Die Kommunikation zwischen Bundestrainer und Bundesliga funktioniert nicht. Au weia! Schlimm, schlimm! Vor wenigen Wochen erst hat Jürgen Kinsmann zum zweiten Mal alle Bundesligatrainer zu einem Gespräch nach Bremen eingeladen. Das reicht den Herren aber nicht. 1. Möchten jetzt auch die Manager eingeladen werden. 2. Möchten die Bundesligatrainer jetzt gerne Einzelgespräche mit dem Bundestrainer führen. Auf die Idee, den Mann dann einfach mal anzurufen, scheint keiner zu kommen. Liegt das vielleicht daran, dass die Trainer das Handy die ganze Zeit brauchen, um ihrem Spezi von der Presse ein Interview zu geben?

Was diese ganzen Antworten mit Fußball zu tun haben? Nichts und das hat vielleicht sogar einen guten Grund. Denn fängt man an über die Ursachen zu diskutieren, würde man vermutlich zu dem Ergebnis kommen, dass Bundesligaspieler körperlich und taktisch nicht gut genug geschult sind, um international wettbewerbsfähig zu sein. Denn es ist ja nicht das Training in der Nationalmannschaft, das über die Qualität eines Spieler entscheidet. Darüber entscheidet seine Ausbildung in der Jugend und die tägliche Arbeit im Verein.
Offenbar gibt es dort Qualitätsmängel, sowohl in der körperlichen Grundlagenarbeit als auch in der taktischen Schulung.
Wer sich nicht nur die Spielweise der Nationalmannschaft, sondern auch die Ergebnisse deutscher Vereinsmannschaften in den internationalen Wettbewerben anschaut, findet dafür weitere Belege. Hier gehe ich dann doch noch einmal auf Stumpen-Rudi ein: Vielleicht ist es ein Glück, dass nicht nur deutsche Experten im Trainerstab der Nationalmannschaft zu finden sind.

Um es auf den Punkt zu bringen: Das Training in der Bundesliga genügt nicht internationalen Ansprüchen und darüber sollte vielleicht mal diskutiert werden.

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