Montag, 24. April 2006

Weg mit dem Megaphon!

In den Fankurven deutscher Fußballstadien hat sich in den vergangenen Jahren eine Unsitte eingeschlichen. Vor den Stehplätzen hockt ein Mann (manche sagen: ein Affe) auf dem Zaun, ein Megaphon in der Hand, und animiert die vor ihm stehenden Fans zu Gesängen, die meist nur wenig mit dem Spielgeschehen in seinem Rücken zu tun haben. Lautstärke statt Stimmung lautet die Devise.

In Köln fehlt dieser Megaphon-Mann seit drei Spielen. Im Spiel gegen Eintracht Frankfurt beschloss der Fanklub Wilde Horde mehr oder minder spontan, in jedem Fall ohne Absprache mit dem Rest der Tribüne, aufgrund der schlechten Leistungen und des drohenden vierten Abstiegs in Streik zu treten und holte seinen Megaphon-Mann vom Zaun.

Nun kann man zu diesem Streik stehen wie man will. Man kann über die fehlende Absprache mäkeln oder fragen, ob es sinnvoll ist, ausgerechnet in der wichtigsten Phase der Saison der Mannschaft die Unterstützung zu verweigern.
Wer will kann darüber mit Vertretern der Wilden Horde diskutieren. Am Mittwoch um 19:00 Uhr im 12.Mann, Nordtribüne.

Ich für meinen Teil hoffe jedenfalls inständig, dass der Megaphon-Mann verschwunden bleibt. Sicher wird auf der Südtribüne weniger gesungen seitdem, aber so langsam übernehmen zumindest im Oberrang wieder die einzelnen Blöcke und Fangruppen die Initiative und die Tribüne wird wieder zu dem, was sie im Grunde immer schon war:
Eine Ansammlung von Tausenden mitfieberndern, leidenden, schimpfenden und fluchenden Männern, deren Anspannung sich regelmäßig, aber eben nicht ständig, in spontanen Gesängen entlädt, die mal von links, mal von rechts quer über die Tribüne wandern, aufgegriffen werden, wenn sie die Stimmung der Zehntausend widerspiegeln, versacken, wenn sie es nicht tun.

Das Megaphon hingegen macht jede Stimmung platt. Statt echter Emotionen gibt es eine Inszenierung von Fankultur für die Gelegenheitsbesucher auf den Seitentribünen und die Sponsoren in den Logen und auf den Businessplätzen.

Am Samstag gegen Duisburg bekamen die Zuschauer in Müngersdorf wieder eine Ahnung davon, was Stimmung im Stadion sein kann. Über weite Strecken herrschte das grummelnde Murren und Raunen vor, das jedes schlechte Fußballspiel akkustisch untermalt. Nach Markus Feulners 2:0 stimmte der Oberrang Süd dann sein "Mir stonn zu dir, FC Kölle" an und mindestens 30.000 der 47.000 Zuschauer stimmten ein. Weil es ihrer Stimmung entsprach, nicht weil es ihnen jemand vorgesungen hatte.

"30.000 Menschen ein Lied singen zu hören, ein richtiges Lied ist ein seltenes, ein ergreifendes Ritual", hat Ronald Reng einmal geschrieben (in Der Traumhüter, der hiermit jedem Fußballinteressierten ans Herz gelegt sei.) Mit 30.000 Menschen ein Lied zu singen, in dem Bewusstsein, dass 29.999 andere in diesem Moment das gleiche fühlen wie du, ist mehr als ergreifend. Es ist einer der Momente, die dich dein Leben lang begleiten. Einer der Momente, für die du Jahr für Jahr ins Stadion gehst. Kein Megaphon der Welt kann dieses Gefühl auslösen.

Die Welt - aus Sicht der Südtribüne

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